Fragen an den Direktkandidaten Jürgen Locher von der Allgemeinen Zeitung

ÖPNV und Verkehr

Die Stadt Bad Kreuznach ist schon fast bekannt für das Verkehrschaos, das man hier zu Stoßzeiten vorfindet. Seit Jahrzehnten ist immer wieder eine Entlastungsstraße im Gespräch, nicht zuletzt um die Innenstadt zu entlasten. Braucht es aus Ihrer Sicht eine solche Verkehrsmaßnahme und wie könnte sie effektiver vorangetrieben werden?

Neue Straßen bracht es aus meiner Sicht nicht. Der Verkehr kann auf den vorhandenen Straßen abgewickelt werden. Das Hauptaugenmerk sollte auf der Instandhaltung von Straßen und insbesondere Brücken liegen. Auch die Modernisierung und Optimierung der Ampeltechnik sowie der Bahnschranken würden den Verkehrsfluss verbessern. Die, bei einer Bürgerbeteiligung 2011 bereits abgelehnte, Ost-West-Trasse würde sehr viel Geld kosten, das beim Unterhalt der vorhandenen Straßen gebraucht wird. In der Gesamtbetrachtung gibt es viele Nachteile. Die wenigen Vorteile rechtfertigen eine solch große Investition und die damit verbundenen Folgekosten nicht. Wege von weniger als 3 km müssen mehr auf Fuß- Rad- und Busverkehr verlagert werden. Das hat Vorteile für alle.

 

Seit gut zwei Jahren kam mit der Rekommunalisierung des ÖPNV ein Busfahrplan, der enger getaktet und weitreichender ist als zuvor. Dennoch fahren manche Busse leer oder in manchen ländlichen Gebieten wird nur verhalten der ÖPNV in Anspruch genommen. Ist es realistisch, dass die Bewohner einer so ländlich geprägten Region gänzlich auf den ÖPNV umsteigen und falls ja, wie wollen Sie eine solche Mobilitätswende unterstützen?

Der seit Oktober 2022 neugestaltete ÖPNV hat für die Menschen in der Region viele Vorteile gebracht. Die Dörfer sind besser angebunden. Die Linke will den Bus- und Bahnverkehr in der Naheregion weiter verbessern. Leider gibt es aus Mainz und Berlin keine belastbaren Beschlüsse, die vor Ort helfen. Viele Finanzierungsfragen sind offen. Das bereits jetzt zu teure 58€-Ticket ist nur für zwei Jahre gesichert. Die mangelnde Planungssicherheit verhindert wichtige Investitionen im ÖPNV.  In unserer ländlichen Region wird der PKW noch lange eine wichtige Rolle haben. Viele Familien würden aus Umwelt- und Kostengründen gerne mit einem Auto auskommen. Sie brauchen Busse, die ihnen das ermöglicht. Schulzeiten und Fahrpläne müssen zum Beispiel besser zusammenpassen. Busse müssen zuverlässig fahren.

 

Wie sollte Ihrer Auffassung nach ein ganzheitliches Verkehrskonzept in Stadt und Kreis Bad Kreuznach aussehen?

Ein gutes Verkehrskonzept muss Mobilität für alle ermöglichen. Bus- und Bahnlinien müssen noch besser aufeinander Abgestimmt werden. Umsteigemöglichkeiten von Fahrrad oder PKW zu Bus und Bahn können noch verbessert werden. Richtung Mainz brauchen wir mindestens ein weiteres Bahngleis ab Gau-Algesheim. Die Linke begrüßt die geplanten neuen Bahnhaltepunkte in der Region. Besonders die in Planig und Niederhausen.

Die vorhandenen Straßen und insbesondere die Brücken müssen besser instandgehalten werden. An der Nahe gibt es zu viele Pendler, die zu weit fahren müssen. Durch bessere Strukturpolitik kann das Verkehrsaufkommen verringert werden. Die moderne Technik ermöglicht vielen die Arbeit im von Zuhause. Voraussetzung ist aber schnelles Internet und gute Mobilfunknetze. 

 

Wirtschaftliche Lage

Die Stimmung in deutschen Unternehmen ist bescheiden. Bürokratieaufwand, Fachkräftemangel, aber auch die steigenden Gewerbesteuersätze verunsichern Unternehmer nicht nur im Kreis Bad Kreuznach. Das vierte Bürokratieentlastungsgesetz gibt es bereits, Maßnahmen wie diese scheinen laut IHK aber nur wenig unmittelbare Abhilfe zu leisten. Was muss Ihrer Ansicht nach passieren, dass Unternehmen hier wieder freier agieren können und wie wollen Sie an der Umsetzung mitarbeiten?

Die Klimakrise und der notwendige Ausbau der Erneuerbaren Energien erfordern gewaltige Investitionen. Hierfür brauchen private wie öffentliche Unternehmen Planungssicherheit. Von AfD bis Grüne haben die Parteien gezeigt, dass sie nicht bereit oder nicht in der Lage sind diese Sicherheit zu bieten. Gesetze beinhalten leider oft nicht das, was draufsteht. Siehe Bürokratieentlastungsgesetz.  Fachkräfte müssen ausgebildet werden. Bildungspolitik, Schulen und Unternehmen stehen hier gleichermaßen in der Verantwortung. Leider wird Ausbildung zu oft als Kostenfaktor und nicht als Investition in die Zukunft gesehen. Mit Fachkräftezuwanderung alleine ist es nicht getan. Was oft übersehen wird, Betriebe mit Mitbestimmung durch Betriebsrat und Belegschaft sind in der Regel erfolgreicher.

 

Der Landkreis Bad Kreuznach verfügt über zwei eigentlich gute Standortfaktoren: Einerseits verfügt die ländliche Struktur mit der Nähe unter anderem zum Soonwald über einen hohen Freizeitwert und nicht zuletzt vergleichsweise niedrige Wohnkosten, zugleich dürfte die Nähe zum Rhein-Main-Gebiet in Zeiten von Homeoffice und Co. für Arbeitnehmer attraktiv sein: Kann man dieses Potential mehr ausschöpfen und falls ja, wie?

Das touristische Potential der Naheregion ist noch lange nicht ausgeschöpft. Hervoragenden Wandermöglichkeiten steht eine noch zu schwach entwickelte Gastronomie und Hotellerie gegenüber. Hier wäre mehr privates Engagement wünschenswert. Land und Kommunen müssen ihren Teil bei Wanderwegen, Museen und besonderen touristischen Orten leisten.

Die Nähe zu Rhein-Main darf nicht dazu führen, die eigene Entwicklung zu vernachlässigen. Es gibt zu viele Pendler, die zu weit fahren müssen. Wir brauchen Arbeitsplätze in der Region. Ob im Home-Office oder im Betrieb, schnelles Internet und ein gutes Mobilfunknetz sind wesentlich für die wirtschaftliche Entwicklung. Die Industrie an der Nahe ist stark Automobil lastig. Hier werden die Arbeitsplätze weniger. Neue Industrien müssen angesiedelt werden.

 

Manche Innenstädte sind von Leerstand bedroht, andere kämpfen mit Parkkosten: Was wollen Sie tun, um hier nicht zuletzt für den Einzelhandel etwa in Bad Kreuznach bessere Bedingungen zu schaffen? Wie können Innenstädte allgemein attraktiv bleiben für Besucher?

Innenstädte brauchen Vielfalt. Dazu gehören gute Möglichkeiten zum Einkaufen, Gastronomie, Plätze ohne Verzehrzwang sowie bezahlbarer Wohnraum. Interessante Angebote und hohe Aufenthaltsqualität sind die Erfolgsfaktoren für Innenstädte. Die Stadt kann durch gezielte Unterstützung oder Organisation von Märkten und Veranstaltungen einen wichtigen Beitrag leisten. Erfolgreiche Beispiele der Vergangenheit sind Blumenmarkt und Stoffmarkt. Aktuell sind der Feierabendmarkt und „Kreuznach leuchtet“ positive Beispiele. Auch der Wochenmarkt ist wichtig und noch ausbaufähig. Einzelhändler und Gastronomen können sich noch besser organisieren. Auch sie sind in der Verantwortung. Klar ist, in eine langweilige Stadt kommt niemand. Auch nicht bei Parkgebühr Null. Ladenmieten sind das größere Problem.

 

Gesundheit

Mit der Geburtshilfe hat bereits die erste Station im Krankenhaus St. Marienwörth geschlossen, es ist davon auszugehen, dass auch andere Abteilungen zusammengeführt werden nach der Übernahme durch die Diakonie. Wie bewerten Sie diese Entwicklung und entsprechend die medizinische Versorgung in Ihrem Wahlkreis?

Das Zusammengehen der beiden Krankenhäuser in Bad Kreuznach kann zu einer dauerhaft guten Versorgung auf hohem Niveau für die Region Bad Kreuznach und das Naheland führen. Das Klinikum Idar-Oberstein und das Landeskrankenhaus Meisenheim sind ebenso von großer Bedeutung. In Kirn muss weiterhin eine gute Fachärztliche Versorgung sichergestellt werden. Besonders ältere Menschen brauchen hier auch die Möglichkeit zur stationären Behandlung. Die „Krankenhausreform“ von Herrn Lauterbach birgt allerdings große Risiken für eine gute Versorgung in der Fläche. Zur Finanzierung der Krankenhäuser müssen endlich alle beitragen - nicht nur die gesetzlich Versicherten. Die medizinische Versorgung braucht dringend eine wirkliche Reform, die die Gesundheit der Menschen in den Mittelpunkt stellt. 

 

Auch die Versorgung mit Hausarztpraxen im ländlichen Raum ist nicht zuletzt wegen neuer Arbeitszeitmodelle und fehlendem Nachwuchs bzw fehlender Fachkräfte in Gefahr. Welche Weichen kann die Politik hier stellen, um ggf. auch neue Strukturen oder Angebote zu schaffen oder aber die bestehenden zu erhalten?

Die Übernahme von Kassensitzen durch private Gesundheitskonzerne darf nicht länger erlaubt werden! Die Linke spricht sich für kommunale Gesundheitszentren aus. Dort sollen die verschiedenen Fachrichtungen und die verschiedenen Leistungsanbieter (Krankengymnastik, Ergotherapie, Sprachtherapie, Hebammen usw.) zusammenarbeiten. Die Verteilung der Zentren auf unterschiedliche Standorte sollte möglich sein. Besonders ausgebildetes Personal kann Teile der ärztlichen Tätigkeit übernehmen. Die verschiedenen guten Ideen werden dauerhaft nur funktionieren, wenn das Gesundheitswesen weniger kommerziell ausgerichtet ist. Zulassungsbeschränkungen stehen einer Zusammenarbeit von ambulanter und stationärer medizinischen Versorgung leider immer noch im Weg. 

 

Die Gesellschaft altert massiv, die Pflege ist alles andere als sichergestellt, im Landkreis Bad Kreuznach kommt dann auch noch eine weite Verteilung über die Fläche dazu: Wie sollen all diese Menschen in Zukunft versorgt werden?

Ziel muss es sein, dass die Menschen möglichst lange in ihrem sozialen Umfeld leben können. Auch in kleineren Orten sollte es Möglichkeiten zum gemeinsamen Wohnen als Alternative zum Altenheim geben. Wer Pflege zu Hause braucht, soll sie auch bekommen. Pflegende Angehörige brauchen bessere Unterstützung um Beruf und Sorgearbeit gut zu vereinen. Konzerne, die nach Profitmaximierung streben haben in der Pflege nichts verloren. Die Finanzierung der Pflege muss breiter aufgestellt werden. Wir brauchen eine Pflegevollversicherung und alle Einkommensarten müssen Beiträge leisten. Die Beitragsbemessungsgrenze muss weg. Das Pflegepersonal braucht einheitliche Tarifverträge bei allen Trägern! Die Arbeitsbedingungen müssen den Bedürfnissen der Klienten und des Personals in den Mittelpunkt stellen.

Migration

Mit der Flüchtlingswelle 2015 wurde auch eine Welle der Hilfsbereitschaft und Solidarität entfacht, viele ehrenamtliche Projekte und Helfer geben bis heute Integrationshilfe. Wenn es jedoch konkret um die Unterbringung geflüchteter Menschen geht, entsteht häufig Widerstand in der Bevölkerung. Hat diese Hilfsbereitschaft aus Ihrer Sicht insgesamt nachgelassen oder gab es Umsetzungsfehler, wie begegnen Sie dieser Thematik?

Die vielen ehrenamtlichen in der Flüchtlingshilfe leisten auch heute noch eine wertvolle Arbeit für die Gesellschaft. Ihnen gilt mein herzliches Dankschön. Das nicht alle diese Arbeit über Jahre aufrecht erhalten können ist verständlich. Ehrenamt braucht hier wie in anderen Bereichen auch, mehr hauptamtliche Unterstützung. Der politischen Rechten ist es leider gelungen ein Klima der Angst zu schaffen. Für sie sind Geflüchtete eine austauschbare Manövriermasse zur Durchsetzung ihrer antidemokratischen und inhumanen Ziele. Die selbsternannten Parteien der Mitte müssen sich kritisch fragen lassen, welchen Anteil sie an dieser Entwicklung haben. Sie zeigen zu oft mit dem Finger auf geflüchtete oder Bürgergeldempfänger um von ihren eigenen Versäumnissen abzulenken.

 

Stichwort Fachkräftemangel: Einige Unternehmen kritisieren die bürokratischen Schikanen, wenn sie Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen mit Migrationshintergrund einstellen wollen. Können wir uns das angesichts fehlender Arbeitskräfte überhaupt noch leisten? Wie würden Sie Menschen mit Migrationshintergrund schneller und bleibend auf den Arbeitsmarkt bringen?

Es ist ein Skandal, wenn Flüchtlinge die in einer Ausbildung sind abgeschoben werden. Ein Arbeitsplatz ist oft der beste Ort die Sprache zu lernen und seinen Platz in der Gesellschaft zu finden. Deshalb muss es einfacher werden eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. Die Linke ist offen für Arbeitsmigration. Auch die Einstellung von Arbeitskräften von außerhalb der EU sollte mit weniger Bürokratie möglich sein. Kriterien müssen Tarifbindung und Einhaltung des Sozial- und Arbeitsrechtes sein. Diese Regeln werden oft durch Scheinselbständigkeit umgangen. Hier brauchen wir auf EU- und auf Bundesebene bessere Regeln und aktives Handeln. Für uns Linke ist Solidarität unteilbar. Wir wollen wir verhindern, das Beschäftige verschiedener Herkunft gegeneinander ausgespielt werden.

 

Einerseits wollen viele Menschen helfen, andererseits geraten Kommunen teilweise an ihre Grenzen, wenn es um die Unterbringung und die Integration geflüchteter Menschen geht. Müssten die Städte und Gemeinden hier mehr Unterstützung vom Bund erhalten und wie könnte diese Unterstützung aussehen?

Der Bund muss die realen Kosten der Flüchtlingsunterbringung zahlen. So lange es geht sollte die Menschen dezentral untergebracht werden. Das erleichtert ihnen die Integration in das Alltagsleben. Das günstiger Wohnraum heute knapp ist, liegt zuerst an der Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit im Jahr 2000. Die Kommunen müssen darauf achten, keine überhöhten Mieten zu zahlen. Das würde den Druck auf dem Wohnungsmarkt nur erhöhen.

 

Persönliche Motivation

Was möchten Sie tun, um die Kommunen finanziell zu entlasten und um der Kommunalpolitik wieder Gestaltungsmöglichkeiten zu geben?

Wenn Bund und Land den Kommunen neue Aufgaben zuordnen, muss das mit einer gerechten und auskömmlichen Finanzierung einhergehen. Der Bund muss seine Zusage zur Entschuldung der Kommunen einlösen. Die Gewerbesteuer in den Kommunen schwankt sehr stark und macht eine mittelfristige Finanzplanung sehr schwierig. Deshalb will die Linke an Stelle der Gewerbesteuer eine Gemeindewirtschaftssteuer, die konstanter ist. Durch einen, gesetzlich gebotenen, Mindestlohn von 15 € würden die Kommunen direkt entlastet. Deutlich weniger Familien müssten Aufstockungs- oder Zusatzleistungen beantragen. Die Einhaltung der Schuldenbremse in Bund und Land darf nicht weiter auf dem Rücken der Kommunen geschehen. Funktionierende Kommunen sind wesentlich für ein gutes Zusammenleben der Gesellschaft.

 

Was möchten Sie ganz konkret für den Wahlkreis erreichen, wenn Sie gewählt sind (nennen Sie gerne 2 konkrete Projekte)? Und falls Sie schon eine oder mehrere Wahlperioden hinter sich haben: Was HABEN Sie schon konkret für den Wahlkreis erreicht?

Lange überfällig ist ein flächendeckender Zugang zu schnellem Internet und den Mobilfunknetzen. Für bedrohte Industriearbeitsplätze in der Region muss gleichwertiger Ersatz geschaffen werden. Ich will eine Wirtschafts- und Strukturpolitik, die es ermöglicht zukunftsträchtige Arbeitsplätze in ländliche Wahlkreise wie unseren zu holen. Das schafft Wertschöpfung vor Ort und stabilisiert damit die Regionalen Strukturen.

 

Wie möchten Sie es rein praktisch handhaben, sowohl in Berlin, als auch in Ihrem Wahlkreis vertreten zu sein? Werden Sie eine Zweitwohnung in Berlin haben, werden Sie mit dem Zug reisen, mit dem Auto oder fliegen?

Ein Bundestagsmandat ohne eine Wohnmöglichkeit in Berlin wäre schwierig. Mein bevorzugtes Reisemittel ist heute schon die Bahn. Abgeordnete sollten nur in wirklichen Ausnahmefällen das Flugzeug nutzen. Die Nutzung eines PKW scheint mir vollkommen unrealistisch. Das wäre Zeit und Ressourcenverschwendung.